Gen 16,1-12.15-16; Mt 7,21-29
Liebe Schwestern und Brüder,
heute Morgen feiern wir einen Gedenkgottesdienst für unseren emeritierten Domdekan und Dompfarrer Kurt Witzel, der auch viele Jahre Präses der Bruderschaften der Marienkapelle gewesen ist. Am 20. Juni ist er nach einem erfüllten Leben als Priester und Seelsorger im hohen Alter von 86 Jahren gestorben. Vielen ist er in unserer Stadt als liebevoller und gutmütiger Pfarrer bekannt. Der Hut, den er gerne trug, war sein Kennzeichen. Er konnte gut zuhören, nahm sich Zeit für die Gläubigen und hatte persönlichen Bezug zu sehr vielen.
Er schaffte es, den engagierten Ehrenamtlichen Raum und Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und übte seinen Dienst nicht in einer Art aus, dass er Anweisungen erteilte, sondern zur Beteiligung ermutigte. Papst Leo zitiert bei seiner Wahl zum Papst einen Satz, der im übertragenen Sinn auch für Kurt Witzel passt: „Für euch bin ich Pfarrer, mit euch bin ich Christ!“
Die Bruderschaften der Marienkapelle verdanken ihm eine gute Begleitung und Unterstützung, um ihr geistliches Leben zu führen. Er erkannte die Bedeutung des Gebetes, das so wichtig in dieser schwierigen Welt ist. Heute - in diesen Zeiten voller Kriege - verstehen wir das noch besser. Das Gebet ist nicht Resignation oder Untätigkeit - im Gegenteil - es ist die Waffe der Schwachen, die sich nicht mit einer Welt abfinden wollen, die zu sehr vom Bösen gekennzeichnet ist. Kurt Witzel glaubte an die Kraft des Gebetes. Manchen möchte das ein wenig altmodisch erscheinen, doch das Gebet und die Spiritualität sind die Grundlage für jedes Handeln.
Das betont Jesus im heutigen Abschnitt zum Ende der Bergpredigt. Das Gebet ist keine leere Formel. Man sagt nicht: „Herr, Herr!“ und bleibt dabeistehen. Ein authentisches Gebet stimmt mit dem Leben und Handeln überein. In ihm wird deutlich, dass wir uns nach dem Willen des Herrn richten. Unser verstorbener Seelsorger Kurt Witzel hat das versucht. Man spürte bei ihm diese Authentizität, dass er sein Leben auch nach dem ausrichtete, was er verkündet hat. Diese Verwurzelung im Wort Gottes, im christlichen Glauben ist eine große Sicherheit vor allem in stürmischen Zeiten. Heute erleben wir tobende Stürme und heranflutende Wassermassen nicht nur im Klimawandel, sondern auch im übertragenen Sinn im Zusammenleben der Menschen und Völker. Das sind die Kriege und die dramatischen Folgen wie das Elend der Flüchtlinge. Nur das Wort Gottes - die Gebote Gottes angefangen von der Nächstenliebe bis hin zur Bergpredigt, in der Jesus uns ein Fundament für ein friedliches Zusammenleben schenkt, das bis hin zur Feindesliebe geht - kann eine Zukunft möglich machen, in der das Leben und die Häuser unseres Lebens nicht einstürzen, sondern Bestand haben.
Noch einen Aspekt geben uns die Texte vom heutigen Tag: Wir haben in der Lesung von Abram und seiner Magd Hagar gehört, die zur Mutter seines Sohnes Ismael wird, nachdem seine Frau keine Kinder bekommen hatte. Gottes Heilswege sind für uns Menschen nicht immer durchschaubar. Er schreibt seine Heilsgeschichte über unsere engen Vorstellungen hinaus. Auch der Sohn der Magd ist Teil der Heilsgeschichte. Hier ist der Ursprung, warum sich die monotheistischen Religionen im gemeinsamen Vater des Glaubens als Geschwister erkennen. Wir sind verschieden, aber wir haben eine gemeinsame Geschichte über unsere Grenzen der Religion und Kultur hinweg. Unser Verstorbener hatte diese Offenheit. Er wollte die Menschen nicht einengen. Er ließ eine große Freiheit der Entfaltung im Bewusstsein, dass Gott der Vater aller Menschen und allen Lebens ist. Dafür wollen wir heute danken und ihn der Barmherzigkeit Gottes anvertrauen - im Bewusstsein, dass Gott das Gute in ihm vollenden wird, was er in seinem Leben begonnen hat. Amen.
Dr. Matthias Leineweber im Juni 2025